Fetisch – Tabus und Vorurteile

Warum fürchten sich viele von uns davor, den Anforderungen der Gesellschaft nicht zu entsprechen? Wer definiert überhaupt diese Ansprüche und woher kommen Vorurteile und vor allem Tabus, die wir nicht brechen wollen/sollen? Ist es ein etwaiger Ausschluss aus der uns zugehörigen sozialen Gemeinschaft, wenn wir mit gemiedenen Themen konfrontieren?

Es gibt Vorurteile und Tabus, die unserem Denken schlechthin zugrunde liegen, beeinflusst durch unsere Erziehung und unser soziales Umfeld. Das sozial konditionierte Hirn sagt nein, das ist falsch. Meistens ist es das Unbekannte bzw. Fremde, das Unbehagen auslöst und somit bewusst gemieden wird. Wenn die Auseinandersetzung der Verdrängung weichen muss, entsteht unter­bewusst ein Nährboden für Ausgrenzung und Ablehnung. Aus diesem Grund bin ich dankbar für die Möglichkeiten, in Medien über das Thema Homo­sexualität und Fetischismus zu schreiben und zu sprechen. Jeder, der sich für unsere Lebens­weise interessiert, ist damit einen Schritt näher, seine Vorurteile abzubauen und Verständnis auf­zubringen. Wie viel davon verraten wird, ist eine Gratwanderung. Aufklärungsarbeit zu leisten bezüglich Fetischis­mus und BDSM ist notwendig, Fragen zu beantworten elementar. Darüber hinaus sollen diese Neigungen für unsere Community seinen Reiz und seine Intimität behalten.

Um sich selbst nicht den vorherrschenden Tabus und Vorurteilen zu unterwerfen ist es not­wendig, Grenzen zu überwinden – und zwar die Grenzen in unseren eigenen Köpfen. Was denken die Leute von mir, wenn ich in z.B. in Leder durch die Straßen gehe? Kann ich den Blicken stand­halten? Diese Barriere verstehe ich nur allzu gut, denn für unsereins hat Leder und Fetisch meistens einen nachhaltig sexuellen Bezug! Unsere Mitmenschen, die uns so auf der Straße sehen, haben diese Assoziation nicht in dieser direkten Weise. Je unbekannter und fremder der Anblick, desto mehr Vermeidung und Ablehnung, aber auch Angst. Je aufgeklärter und offener diese Menschen sind, umso weniger Unbehagen verspüren sie. Hier wieder eine Gratwanderung: Wie viel von mir und meinem Fetisch möchte ich überhaupt in der Öffentlichkeit preisgeben. Für viele, vor allem für die jungen Fetischisten, die einen Schutzraum benötigen, ist es angenehmer, sich erst vor Ort umzuziehen. Diese Möglichkeit bietet sich überall und wird gerne angenommen.

Häufig wird der offene Umgang mit Fetisch anscheinend als Provokation verstanden. Während eines Osterwochen­endes beschimpften mich zwei Männer aus ihrem Auto als „Schwuchtel“ und „Arsch­ficker“, so geschehen in Berlin an der Kreuzung Kleist­straße und Martin-Luther-Straße. Weni­ge, die attackiert oder beschimpft werden, können damit umgehen. Ich bin in aufrechter Haltung gleichgültig weitergegangen. Trotzdem hatte mich die Begegnung innerlich aufgewühlt, denn Ab­lehnung kränkt. In aggressiven Situationen rate ich davon ab, sich auf Anfeindungen einzulassen und eine Angriffsfläche zu bieten. Im Gegensatz dazu sprachen uns zwei ältere Damen bei der Fahrt mit der Fetisch-Straßenbahn entlang der Wiener Ringstraße an und wollten mehr über uns wissen. Solche Gelegenheiten sind zu nutzen, um aufzuklären und einer Verständnislosigkeit positiv entgegenzuwirken. Zur Erinnerung machten sie ein Selfie mit Mr. Leather Italy und mir.

Nichtsdestotrotz – und gerade deshalb – mein Appell an die Fetisch-Community, wieder ver­mehrt in Gear auszugehen, sich mit Stolz zu zeigen und sich unter Gleichgesinnte zu mischen. Was helfen die geilsten Fetischklamotten zu Hause im Schrank, wenn der Kerl abends in Jeans, Chucks und T-Shirt ausgeht. Auf Fotos in den diversen Dating-Portalen macht die Fetisch­montur erwartungsgemäß viel her, in der Realität aber um ein Vielfaches mehr. Jeder von uns, der sich in seinem Fetisch zeigt, ist Teil unserer Community, gestaltet diese mit und lässt sie weiterleben. Klar kommt oft das Argument, dass ohnehin nichts mehr los sei und dass man selber der Einzige oder einer von Wenigen in voller Ausstattung ist. Genau darin liegt das Paradoxon. Wenn jeder von uns so denkt, wird das Fetischleben immer spärlicher und beschränkt sich dadurch auf große Events oder eben auf das allseits hochgelobte Berlin. Viele Leder- und Fetischbars in unseren lokalen Szenegeschehen müssen schließen oder orientieren sich um, werden beispielsweise zu Cruisingbars für jeden. Unsere Reaktion: Wir beklagen uns darüber. Aber waren wir regelmäßig dort? Haben wir unsere lokale Szene derart unterstützt und mitgestaltet, dass sie weiterbestehen kann? BLUF hatte vor einiger Zeit mit seinem „12 x 12 Pledge“ seine Mitglieder dazu aufgerufen, einmal monatlich in vollem Fetisch-Outfit auszugehen und die Bars zu besuchen. In meinen Augen ist das eine grandiose Idee, die weiterhin Gültigkeit hat. Denkt doch mal darüber nach…