Leder: Das Material aus dem Träume sind

Die Lederszene hat sich innerhalb der schwulen Subkultur eine eigenständige Kultur geschaffen, in der sich Lederliebhaber ungestört und nach eigenen Regeln bewegen können, ohne anderen Einblick zu gewähren. Leder – dieses Wort ruft wohl gerade im schwulen Kontext mehr Assoziationen hervor, als dies bei den restlichen Menschen der Fall sein mag.

Lederfetisch bedeutet eine sexuell-erotische Affinität zum Material Leder, ist weit verbreitet und sehr beliebt. Selbst auf zahlreiche Außenstehende versprüht Leder eine gewisse Faszination. Leder steht für harte Kerle mit Muskeln und Bärten, für dunkle Bars mit noch dunkleren Nebenräumen. Leder wird mit Fetisch, Lust, Schweiß und Rauch in Verbindung gebracht und macht dieses hinreißende Geräusch, wenn „Mann“ sich darin bewegt. Viele finden den einzigartigen Geruch, den Geschmack und das sinnliche Gefühl von Leder erotisch, tragen es daher selbst auf der Haut und sehen es gerne an Anderen. Für einen Lederfetischisten werden Gegenstände aus diesem Material zu Lustobjekten, sei es in Form von Bekleidung, Stiefeln, Riemen, Gurten, Kappen oder bequemer, von der Decke bau­melnder Liegen. In zahlreichen Rollenspielen sind Lederbekleidung und -accessoires fixer Bestandteil und bringen die Beteiligten damit erst so richtig in Fahrt.

Die Lederszene hat viel gemein mit Motorradfahrern, die sich ebenfalls männlich geben und wegen des besonders starken Schutzmaterials Leder tragen. Eine weitere Gruppe, die das Leder­ideal des harten, aber attraktiven Mannes erfüllt, sind Cowboys. Solche Assoziationen sind Schubladendenken und dank unserer bunten Community kann der Lederfetischismus ausge­sprochen vielfältig sein. Ich erinnere mich noch genau an das irrsinnig erregende Gefühl beim Tragen meiner ersten Lederjeans – ein Moment, den ein Lederfetischist vermutlich nicht mehr vergisst. Dieses Empfinden intensiviert sich mit zunehmenden Erfahrungen und Ausweitung der Fetischausstattung.

Die gegerbte Haut von Tieren ist sicher eines der ältesten Materialien, mit dem sich der Mensch gegen die Unbilden der Witterung zu schützen pflegte und ist schon seit jeher seine zweite bzw. dritte Haut. Insofern hat Leder etwas Urwüchsiges an sich, auf das es uns Lederkerlen wohl in erster Linie ankommt. In unserem Alltag steht die Verwendung von Leder in der Wohnkultur, der Innenausstattung von Autos oder im Bereich der Kleidung für Qualität und Komfort. Die Be­son­derheit des Materials Leder liegt in seiner stillvoll-edlen Ausstrahlung, seinem subtil-erotischen Touch und dem speziellen Gefühl auf der Haut.

Der Lederfetisch kann sehr kostspielig sein, da die Herstellung und Verarbeitung von Leder aufwendig ist. Ich kann meinen Fetisch mit meinem Beruf verbinden, denn seit über zehn Jahren arbeite ich in der Entwicklungsabteilung einer der weltweit größten Gerbereien für Automobil­leder. Der Werdegang einer Tierhaut, die frisch vom Schlachthof angeliefert wird, mit Blut und Dung behangen, ist faszinierend. Schritt für Schritt wird aus einem reinen Abfallprodukt ein exklusives Material. Man darf nicht vergessen, dass kein Tier des Leders wegen geschlachtet wird, sondern weil wir in Europa jährlich rund 65 kg Fleisch pro Kopf verzehren. Der derzeitige Vegan-Trend macht auch vor der Lederbranche nicht Halt und manche Designer sind auf der Suche nach veganen Alternativen für Leder. Allerdings sehe ich nicht wirklich einen von uns Lederfetischisten, der zukünftig mit Ananasfaserhosen in Clubs und zu Dates erscheinen wird oder gerne Stiefel aus Kork als Lederersatz leckt.

Etwa 15 Arbeitsschritte sind notwendig, um eine Tierhaut zu Leder zu verarbeiten. Das Ziel der Gerbung ist die beständige Stabilisierung der fäulnisanfälligen Hautsubstanz durch dauerhafte Veränderung der Proteinstruktur. Je nach Endprodukt können in der Nachgerbung die Eigen­schaften von Leder definiert werden, um beispielsweise ein extra geschmeidiges oder aber kom­paktes Material zu produzieren. Leder ist nicht gleich Leder. Das Natürlichste ist Anilinleder ohne jeglicher Veredelung der Oberfläche. Da diese Lederart aber gleichzeitig am empfindlich­sten ist, werden Farbpigmente und Lacke aufgetragen, um es vor äußeren Ein­flüssen und vor Verschleiß zu schützen. Je mehr dieser sogenannten Zurichtung auf Leder aufgebracht wird, desto geringer wird das natürliche Erscheinungsbild. Grundsätzlich ist Natur­leder glatt oder weist eine ganz feine Hautstruktur auf, ähnlich unserer Menschenhaut. Ist das Leder mit einer groben und regelmäßig­en Struktur versehen, wurde es künstlich geprägt, um Naturmerkmale auf der Haut, z.B. Narben, Insektenstiche oder Adern, zu kaschieren. Wobei solche Naturmerkmale die Einzigartigkeit jeder Lederhaut unterstreichen und ich die kleine Narbe auf meiner Lieblings-Lederjeans direkt neben der Knopfleiste wunderschön finde. Geprägtes Leder ist deutlich günstiger als glattes. Dadurch sind die verschiedenen Preise von Leder­bekleidung gerechtfertigt, die von Hersteller zu Hersteller variieren. Nicht zu vernachlässigen ist der Aspekt, dass Leder­bekleidung bei fachge­rechter Pflege lange Bestand hat, kaum dem Mode­diktat unterliegt und deshalb ein Leben lang getragen werden kann.

Dank Preisdifferenzen ist es für Fetisch-Anfänger erschwinglich, sich die erste Lederjeans zu kaufen und dieses von mir beschriebene Gefühl zu erleben. Erst kürzlich erreichte mich die Nach­richt: „Hab heute meine erste Lederhose gekauft. Ich verstehe jetzt was du damit gemeint hast, Leder zu tragen fühle sich geil an.“ Für Newcomer begrüße ich die Initiative vieler Vereine und Veranstaltungen, Leder-Flohmärkte abzuhalten oder sich auf Online Portalen umzusehen. Auf diese Weise kann man zum einen gebrauch­te Leder-Gear sinnvoll loswerden und zum anderen haben jüngere Fetischisten eine geeignete Gelegenheit, ihr Outfit zu erweitern. Und wir alle sollten jede sich bietende Möglichkeit nutzen, Interessierte in die Lederwelt einzuführen. Es geht schließlich um unseren Nachwuchs.