Hinter jedem Fetischisten steckt ein Mensch

Der dritte Freitag im Januar ist der Internationale Tag des Fetisch. Dieser Tag entstand 2008, um das Bewusstsein für die Fetischszene zu erhöhen sowie die BDSM-Gemeinschaft zu unterstützen, und wird seither im Januar begangen. Fetisch: Abartig, pervers, bizarr oder span­nend, vielseitig, befreiend? Das Wort Fetisch stammt vom lateinischen ‚facticius‘ und bedeutet ‚durch Kunst hervorgebracht‘. Im übertragenen Sinn: Eine von Menschen geschaffene Sache, von der diese glauben, dass sie Macht über sie habe. Fetische in ihrer ursprünglichen Bedeutung sind Objekte, denen menschliche oder übermenschliche Kräfte zugeschrieben werden, z.B. ein Amulett, eine Statue oder ein Totem. Im religiösen Sinn hat Fetischismus nichts mit Erotik und Sinnesfreuden zu tun, sondern bezieht sich auf den Glau­ben an übernatürliche persönliche oder unpersönliche Mächte, die in bestimmten Gegenständen wohnen und deren Verehrung als heilige Objekte.

In sexuellem Zusammen­hang ist ein Fetisch ein Objekt, mit dem man Lust verbindet. Der Feti­schismus verlagert das Interesse vom menschlichen Subjekt auf ein Körperteil, eine Eigen­schaft, ein Kleidungsstück oder einen Gegenstand. Fetischismus ist nicht unbedingt gleich­zuset­zen mit BDSM, die Grenzen sind aller­dings oft fließend oder verschwinden gänzlich. Beispielsweise wenn es um den Reiz geht, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Man unterscheidet üblicher­weise zwischen Geruchs-, Geschmacks- und anderen Fetischismen, die sich auf das Hören, Sehen und Betasten von Sexualobjekten konzentrieren. Vieles kann zum Fetisch werden, das mit unseren Sinnen wahrnehmbar ist.

Fetische entwickeln sich oftmals in der Kindheit durch Erlebnisse oder Schlüsselreize, die die Weichen für das spätere Sexualverhalten stellen und sich in der Pubertät vollends ausprägen und erkennbar werden. Bestes Beispiel hier­für ist das Verbinden sexueller Glücksgefühle oder einer sozial angenehmen Situation mit bestimmten sinnlichen Arrangements. Somit ist die Veranlagung zu Fetischismus ein Zufall, der weder beeinflussbar ist noch sich aneignen lässt. In gewisser Hinsicht sind wir alle mit Merkmalen des Fetischismus ausgestattet, die als Vorlieben harmlos erscheinen, etwa für eine spezielle Haar­farbe oder Kleidung. Fetische sind im wahrsten Sinne so vielfältig wie wir Menschen selbst. Grundsätzlich gilt: Fetisch und Sex muss nicht zwingend zusammengehören. Verbindet man beides, kann es umso erfüllender sein. Der Fetischismus lehrt uns, dass es im Grunde genommen keine ‚normale‘ Sexualität gibt, sondern nur grob untergliederte Bereiche der Trieborientierung, in denen wir uns wiederfinden werden, sofern wir Wert darauflegen, unsere eigene Sexualität zu erkunden.

Fetischismus ist keine Modeer­schei­nung, obwohl in der Modewelt gerne bildlich zitiert. In der Geschichte finden wir immer wieder Epochen, in denen dem natürlichen Körper nicht allzu viel Bedeutung beigemessen wurde, vielmehr war die Kleidung Tummelplatz des erotischen Blicks. Vom Haarputz über den Fächer bis hin zum Fuß konnte alles zum Objekt des Begehrens und somit zum Fetisch werden. Der Barock mit seinen Reifröcken, Strumpfbändern, kniehohen Lederstiefeln und gepuderten Perücken beispielsweise muss eine Sinnesfreude für jeden Fetischisten gewesen sein. Massenmedien lassen immer wieder explizite sexuelle Vorlieben (Stichwort „50 Shades of Grey“) interessant er­scheinen, enttabui­sie­ren und entzaubern aber damit den Fetisch an sich.

Hinter jedem von uns Fetischisten steht ein Mensch. Einer, der seine Neigung annimmt, die eige­nen Ängste und Vorurteile überwunden hat und seine Leidenschaften genussvoll und ehrlich auslebt. Wir Fetischisten wollen allerdings nicht nur auf unsere Neigung reduziert werden und welches Ausmaß der Fetisch im eigenen Leben annimmt bestimmt jeder für sich selbst. Die Person, die wir selbst zu sein glauben, existiert nur für uns selbst. Jede Person, die wir treffen, mit der wir in einer Beziehung stehen oder mit der wir auf der Straße Augenkontakt haben, hat eine eigene Version von uns in ihren Köpfen, die vermutlich viel harmloser ist als unsere eigene. Fetischisten haben Wünsche und Bedürfnisse, die sehr stark sein können. Die Fetisch-Szene mag sich aus den unterschiedlichsten Menschen, Gesinnungen und Praktiken zusammensetzen, vereinigt jedoch zugleich gemeinsame Perspektiven und enge Beziehungen. Es gibt vermehrt Events, die Alltagsaktivitäten mit Fetisch verbinden, z.B. das „Classic Meets Fetish“ Konzert alljährlich zu Folsom Europe in Berlin oder Fetisch-Kneipentouren in vielen Städten. Menschen in Fetisch-Kleidung durchbrechen dabei bisher vorgegebene Grenzen und Normen. Die Veranstalter und Organisatoren innerhalb unserer Community haben damit eine soziale Aufgabe übernommen: Dass sich Fetischisten der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen und ihre Sexualität mit all ihren einzigartigen Formen und Möglichkeiten ausleben können – befreit und beglückt. Diese Aufgabe gehört von uns allen gewürdigt und weiter aus­ge­baut.