Lustgewinn durch Schmerz – Teil 1

BDSM (kurz für: Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) basiert auf dem Gebrauch von körperlichen Empfindungen, um Vergnügen hervorzurufen. Der dominante Part (Top) fügt dem gehorsamen, devoten (Bottom/sub) in gegenseitigem Einver­ständ­nis Schmerzen zu, um die Begierde und Verlangen beider Partner in einer sicheren Um­ge­bung zu erfüllen. Eine veraltete Bezeichnung hierfür ist Algolagnie (griechisch, algos: Schmerz, lagneia: Wollust).

Schmerzen sind eine Bewertung des Gehirns und müssen nicht immer schlecht oder gar unerwünscht sein. BDSM wandelt die Schmerzerfahrung gekonnt in Lust um. Bei diesen reizvollen Sinneswahrnehmungen handelt es sich um dedizierte Schmerzen, hervor­ge­rufen bei­spielsweise durch mechanische und elektrische Reize (Schläge, das Anbringen von Klammern oder Stimulierung mit Stromstößen) oder thermische Aus­löser (mittels Wachses bzw. Eiswürfeln). Lustschmerz wird durch bestimmte Rollenspiele intensiv erleb­bar.

Was geschieht konkret im Körper beim Empfinden von Lust, Schmerz und Lustschmerz? Die Fähigkeit zu genießen, Lust zu verspüren, haben alle Menschen gemeinsam. Zudem haben wir alle Bedürfnisse, deren Befriedigung uns oft Lustgefühle verschafft. Lust ist eine intensiv ange­neh­me Form des Erlebens und gleichzusetzen mit einem Gefühl der Vorfreude. Der Schmerz ist eine äußerst komplexe Sinneswahrnehmung. Beim Lustschmerz empfindet man genau dann sexuelle Lust, wenn man Schmerzreizen ausgesetzt ist. Der Schmerz tut trotzdem weh, er wird nur anders wahrgenommen. Jeder, der in der Lage ist, Schmerzen in sexuellem Zusammenhang in Lust umzuwandeln, erlebt ein sogenanntes Endorphin-High. Dazu führt der Ausstoß von Endorphinen und anderen vom Körper produzierten opiatähnlichen Substanzen, die bewirken, dass der Betroffene von Wohlgefühlen durchströmt wird. Endorphin ist ein körper­eigenes Mor­phin und Opiat, das im Rückenmark blutdrucksenkend und schmerzherabsetzend wirkt.

Aus­dau­ersportler spüren nach Überschreitung eines ent­scheidenden Punktes bzw. der ‚Schmerz­grenze‘ in ihrem Training neue Energie, erweitertes Durchhaltevermögen und äußerstes Wohl­empfinden. Am Ende dieses Trainings fühlen sie sich berauscht von Stoffen, die der eigene Körper produziert und die in ihrer chemischen Zusammen­setzung dem Extrakt der Mohnblumen ähneln. Das High, das bei intensivem Schmerz während einer BDSM-Session empfunden wird, ist dasselbe wie beim Sport, nur dass am Endorphinstrom des Sportlers für gewöhnlich kein anderer beteiligt ist, beim Masochisten schon. Er empfindet die durch den Sadisten zugefügten Schmerzen als Lust­gewinn. Endorphine wirken zudem euphori­sierend und beruhigend sowie bewusstseins­verän­dernd mit einer Einengung der Auf­merk­samkeit, relativem Realitätsverlust und gesteigerter Be­ein­fluss­­barkeit. Aufgrund dessen erfordert BDSM ein hohes Sicherheits- und Verantwortungs­be­wusst­sein.

Egal ob wir im Kreis wirbeln, schaukeln, tanzen, Marathon laufen, unsere Brustwarzen quälen lassen oder schlagen: Die Ekstase, die wir suchen und erreichen, ist die gleiche Bewusstseins­veränderung, die im genetischen Code aller Menschen vorprogrammiert ist. Ein leichterer, dafür aber schädlicher Zugang zu solch einer Bewusstseins­veränderung ist die Einnahme von Drogen, denn synthetisch erzeugte Opioide haben eine ähnliche Wirkung auf den Organismus. In Kennt­nis dessen wurde beispielsweise Heroin Ende des 19. Jahrhunderts als Husten- und Schmerz­stiller auf dem Markt gebracht. Die Auswirkungen und Folgen von ChemSex sollten aller­dings hinlänglich bekannt sein! In religiösen Zeremonien kann ein veränderter Bewusstseinszu­stand beispielsweise durch Meditation, Fasten oder ekstatische Tänze herbeigeführt werden.

Jeder Mensch ist in sexueller Hinsicht einzigartig und kein Mensch funktioniert haargenau so wie der andere. Die Fähigkeit zu BDSM dürfte ebenso unterschiedlich ausgeprägt sein wie alles ande­re im menschlichen Bereich. Nicht jeder von uns produziert Opioide, wenn er Schmerz empfindet. Aber alle, die mit dieser Mischung von Fähigkeit und Angleichung gesegnet sind, gewinnen da­raus unter anderem Spannungs­abbau und Euphorie.

In vielen Fällen ist der unterwürfige Part eine starke Person, die jemand Stärkeren sucht. Bei BDSM Rollenspielen finden subs durch die Übergabe von Kontrolle und Macht an den Top einen Kontrast zu ihren alltäglichen sozialen und/oder wirtschaftlichen Leistungsanforderungen. Der Akt der Unterwerfung sorgt für eine faszinierende Umkehrung und birgt ein hohes Entspannungs­potential. Jene Attribute, die in unserer Gesellschaft zum Erfolg führen sind auch jene, die zur Befrie­digung als sub führen: Verzögerung der sofortigen Befriedigung, Dienst an anderen für den potenziellen Selbstnutzen, Standhaftigkeit, Ausdauer und eine sensitive Wahrnehmungsfähig­keit seines Gegenübers. Die Befriedigung, die sich aus einer solchen Umkehrung ergibt, ist gewaltig.