Vegan ist schick und zu einem vorherrschenden Megatrend geworden. Vermehrt stolpern wir in unserem Alltag neben zahlreichen anderen tierischen Alternativen auch über den vorgetäuschten Begriff „veganes Leder“. Schließlich ist Leder immer ein tierisches Nebenprodukt und die Verbindung mit dem Adjektiv vegan führt die Konsumenten in die Irre.
Fakt ist, dass der Fleischkonsum in vielen Ländern tatsächlich abnimmt und sich ein neues Bewusstsein für Nachhaltigkeit auf dem Speiseplan und dem Konsumverhalten zunehmend durchsetzt. Dabei ist allerdings ein ehrlicheres Verhältnis zu tierischen Produkten gefragt. Vegan zu leben heißt mehr als nur, vegan zu essen. Dazu zählt auch der Verzicht auf Kleidungsstücke aus Materialien wie Leder, Seide oder Wolle, da diese tierischen Ursprungs sind. Stellt sich für uns Leder-Fetischisten in diesem Zusammenhang die Frage, ob wir künftig beim Anziehen unserer Ledermontur und beim Ausgehen in Leder ein schlechtes Gewissen haben müssen?
Leder ist ein natürliches, strapazierfähiges und flexibles Material aus Tierhaut und damit ein Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie. Die Tierrechtsorganisation Peta (kurz für: People for the Ethical Treatment of Animals) behauptet zwar, dass Tiere in „blutigen Gerbereien“ zur Produktion von Leder ausgebeutet werden. Kein Tier wird aber des Leders wegen getötet! Diese Tatsache ist den meisten von uns nicht bewusst und wir lassen uns daher von Medien, Influencern und Institutionen unbewusst täuschen. 6,31 Millionen Menschen ernährten sich in Deutschland 2018 vegetarisch, fast eine Million Menschen verzichtete gänzlich auf tierische Produkte und lebte vegan. Laut der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland (kurz für: World Wide Fund For Nature) sind nahezu 70 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen unserer Ernährung auf tierische Produkte zurückzuführen sind. Es ist sogar nachgewiesen, dass Fleischkonzerne dem Klima mehr schaden als die Ölindustrie. Und wo heute Feuer in Brasiliens Regenwälder wüten, weiden morgen Rinder, was die Verbraucher für die Gefährdung des Amazonas mitverantwortlich macht. Trotzdem isst über 90% der Weltbevölkerung nach wie vor Fleisch. Tiere wie Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen werden hauptsächlich wegen ihres Fleisches gezüchtet, nicht des Leders wegen. Kühe geben zudem Milch und Schafe Wolle.
Durch modernes Upcycling stammen 20% des Wertes eines Tieres aus anderen Branchen als der Fleischindustrie. Nebenprodukte aus Knochen, Blut und Fett finden sich in Seife, Dünger, Gelatine, Arzneimitteln und anderen Produkten. Häute können nicht nur zu nachhaltigem Leder verarbeitet, sondern auch in Kollagen, Protein und Gelatine umgewandelt werden. Leder war aber schon immer das begehrteste Nebenprodukt. Würde statt dem Recyclingprodukt Leder aus Abfällen von Schlachthöfen nur noch synthetische Stoffe aus billigem Kunststoff („veganes Leder“) verarbeitet werden, würde ein zweiter, zusätzlicher und vollkommen sinnloser Müllberg geschaffen. Ohne die Verarbeitung zu Leder würde außerdem die Entsorgung von Tierhaut schwerwiegende Folgen für die Umwelt haben. Denn jedes Jahr werden 2.200 Quadratkilometer Leder aus über einer Milliarde (übrig gebliebenen) Häuten produziert. Dies entspricht etwa 330.000 Fußballfeldern oder einer etwas kleineren Fläche als Luxemburg. Lederhersteller tragen somit zu einer Kreislaufwirtschaft bei, in der nichts verschwendet wird.
Immer mehr Dritte-Welt-Länder produzieren Leder für unsere westliche Welt. Gewiss gibt es vor allem in südamerikanischen und asiatischen Gerbereien, von denen der Großteil der weltweit verarbeiteten Leder stammen, insbesondere aufgrund der Anwendung von aggressiven Chemikalien gesundheitliche Beeinträchtigungen der Beschäftigten sowie ökologische Gefahren durch giftige Abwässer. Europäische Gerbereien hingegen setzen größtenteils umweltfreundliche Chemikalien ein, verwenden vermehrt pflanzliche Gerbstoffe und nutzen hochmoderne Wasseraufbereitungsanlagen, um den ökologischen Fußabdruck von Leder zu verbessern. In Mitteleuropa müssen Lederproduzenten zudem strenge gesetzlich vorgegebene Grenzwerte einhalten. Die hohen Umweltauflagen sowie die höheren Lohnkosten schlagen sich natürlich im Lederpreis nieder. Ein Vergleich von Preis und Qualität der einzelnen Marken bzw. Hersteller sagt viel aus über Nachhaltigkeit des verwendeten Leders: Ist das angebotene Lederhemd oder die Lederjeans vergleichsweise günstig, riecht künstlich nach Lack oder ist die Narbung/Oberfläche des Leders grob, handelt es sich vermutlich um eine minderwertige Lederqualität, die beispielsweise von einem der massenhaften Lederschneider in Pakistan stammen. Es schadet nie, den Händler oder Schneider nach der Herkunft des Leders zu fragen, um die Kaufentscheidung zu erleichtern.
Schätzungsweise 50% des hergestellten Leders wird für Schuhe verwendet, gefolgt von Möbeln, Bekleidung, Taschen, Fahrzeuge und Sattlerwaren. In all diesen Bereichen findet man zunehmend ein Angebot an Lederalternativen. Obwohl diese synthetischen Stoffe vegan bezeichnet werden, haben sie nur in den wenigsten Fällen einen pflanzlichen Ursprung. Hauptsächlich bestehen diese künstlichen Materialien aus Polyvinylchlorid (PVC), Polyurethan (PU), Textil-Polymer-Verbundmikrofasern oder anderen Materialien auf Erdölbasis. Unabhängig davon, ob die moderne Kunststofffertigung weniger giftig als früher ist, bleibt sie dennoch gefährlicher für Mensch und Natur als echtes Leder.
Wenn die Verbraucher „veganes Leder“ lesen, übertragen sie die positiven Eigenschaften von Naturleder fälschlicherweise auf den angebotenen synthetischen Stoff. Denn Kunstleder ist wenig widerstandsfähig und nutzt sich schnell ab. Echtes Leder dagegen kann bei der richtigen Pflege jahrzehntelang halten, altert elegant und bildet eine Patina, die dem Leder seinen unvergleichlichen Charakter verleiht. Die Umweltbelastung ist durch mehrmaliges Ersetzen eines Kunstlederproduktes darüber hinaus höher als beim Kauf eines echten, langlebigen Lederartikels. Kunstleder, insbesondere auf PVC-Basis, ist kaum atmungsaktiv, was insbesondere bei Kleidungsstücken unangenehm sein kann. Naturleder atmet, ist geschmeidig und kann leicht gepflegt und gereinigt werden. Es fühlt sich warm sowie angenehm weich an und ist ästhetisch. Leder verfügt über einen einzigartigen Duft und eine erotische Sinnlichkeit, die auf viele von uns einen sexuellen Reiz ausübt.
Letztendlich obliegt es der eigenen individuellen Entscheidung, ob eine Hose auf Basis fossiler Brennstoffe oder aus tierischer Haut gekauft und getragen wird. Wichtig ist nur, den Unterschied zu kennen und das Vorurteil von Leder als tierisches Produkt abzubauen. Transparenz ist für eine bewusste Kaufentscheidung erforderlich. Vielleicht liegt das Problem auch nicht so sehr an der Fragestellung nach tierisch oder vegan, sondern vielmehr an unserer manischen Konsumkultur. Die Täuschung der Käufer und dadurch unüberlegter Kauf und übermäßiger Verbrauch haben eine schädliche Wirkung für Umwelt und Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, den moralischen Wert von Produkten zu schätzen und nachhaltigen Konsum zu praktizieren. Und wer es mag, kann und soll auch weiterhin mit gutem Gewissen Leder tragen und sich dabei rundum wohl und glücklich fühlen.