Über soziale Medien nehmen wir vermehrt am Leben vieler Menschen teil, die wir teilweise nur flüchtig oder überhaupt nicht kennen. Dabei werden wir mit einer Fülle an Ideen, Lebensstilen und Aktivitäten konfrontiert, die uns zuweilen stressen und unglücklich machen können. Je mehr man an sozialen Netzwerken teilnimmt, desto einladender der Vergleich zwischen dem eigenen Ich und den vorgezeigten Idealen. Wir laufen Gefahr, dass wir auf der Suche nach dem passenden Ausdruck, der unserer Individualität und Persönlichkeit gerecht wird, zu sehr von Inhalten beeinflusst werden, die uns Algorithmen vorgeben. Dabei kann man leicht in der Masse untergehen, besonders wenn man außen nach Antworten sucht.
Ich poste zum Spaß und um Menschen zu inspirieren und zu ermutigen, ihren Fetisch und ihre Kinks kennenzulernen und auszuleben. Zuspruch motiviert mich, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen und im Austausch neue Sichtweisen und Ideen zu sammeln. Kürzlich habe ich eine Diskussion auf Twitter mitverfolgt, die mit der Aussage „Twitter gibt mir das Gefühl, dass buchstäblich jeder besseren Sex in Gear hat als ich“ begann. Dieser Tweet erntete viel Zustimmung, denn toxischer Perfektionismus begleitet uns jeden Tag in den sozialen Medien. Eine der Antworten war „Mir geht es genauso, hier ist ein großartiger Fundus, aber zeigt meine eigenen Schwächen.“ Jeder zeigt sich von seiner besten Seite, was als permanente Realität ausgelegt werden und zu Verunsicherungen und Selbstzweifel führen kann. Noch schwieriger wird es, wenn authentischer Fetisch mit finanziellen Interessen und Verkaufsabsichten verwechselt wird, Stichwort Cash App, OnlyFans oder PayPal.Me.
Wir haben in den letzten Monaten vermehrt nur die sozialen Netzwerke nutzen können, um uns auszutauschen oder voneinander zu hören/sehen – zumindest oberflächlich. Zwei Bekannte sind seither der Meinung, dass sie befürchten, etwas Wesentliches in ihren (Fetisch-)Leben zu verpassen. Wir sehen, was andere machen und bilden daraus eigene Vorstellungen in unseren Köpfen. Aber die Kluft zwischen Fantasie und Realität kann groß sein – auch bei den Postings, die wir täglich zu sehen bekommen. Wenn uns eine Person sympathisch ist oder uns deren Stil gefällt, neigen wir dazu, uns an ihr zu orientieren. Soziale Medien bieten für uns alle eine Plattform und durch Algorithmen werden Stimmen verstärkt, die im echten Leben kaum beachten gefunden hätten. Lasse Dich inspirieren, aber nicht verleiten. Social Media ist weder Dein Leben noch Dein Fetisch. Das, was andere machen und sind ist möglicherweise nicht das Richtige für Dich. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, mahnte schon der dänische Philosoph Søren Kierkegaard.
Besonders in Zeiten von Lockdown und Social Distancing habe ich häufig Postings von Warenbestellungen und -lieferungen in meiner Timeline gesehen. Um die Zeit des Wartens zu Hause zu verkürzen haben sich offensichtlich viele Fetischisten mit neuer Gear eingedeckt. Sei es eine neue Lederjeans oder -hemd, neue Stiefel oder Toys. Soziale Medien wirken sich nicht nur in Form von offensichtlicher Werbung auf unser Konsumverhalten aus. Plötzlich sehen und wünschen wir uns Produkte, an die wir zuvor keinen Gedanken verschwendet haben. Sei es, um mit anderen mithalten zu können oder, um dazuzugehören. Dass man schnell mal raus sein kann, wenn man nicht die passende Gear aufweisen kann, habe ich kürzlich festgestellt. Es ging um ein Foto von ein paar Kerlen in Sendra-Boots. Nur wer die Traditionsmarken-Stiefel aus Spanien hatte, durfte aufs Foto – andere Cowboystiefel waren uninteressant. Auf diese Weise lassen wir uns unnötig unter Druck setzen und zum Konsum verführen, aber glücklich macht er uns nicht, da uns vorher eigentlich gar nichts fehlte. Ich muss gestehen, dass ich mich während der letzten Monate auch zum einen oder anderen Kauf hinreißen lassen habe. Genauso bin ich aber auch in Second-Hand Foren fündig geworden und habe mit meinem Schneider interessante Dinge umgesetzt. Einerseits wollen wir uns zwar mit gewissen Marken abgrenzen und uns damit der schwulen Fetisch-Subkultur zuordnen. Andererseits entwickeln sich einige Fetisch-Labels mehr und mehr zu konsumgesteuertem Mainstream und eine eigene Ausdrucksform bewahrt uns davor, konform in der Masse unterzugehen.
Wir können in unserer Gesellschaft vermehrt die Ohnmacht des Einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer, Besserwisser, Influencer erkennen. Umso wichtiger ist es, sich in regelmäßigen Abständen vom medialen Getöse zu lösen und mehr auf sich selbst, die eigene Wahrnehmung und das eigene Bewusstsein zu konzentrieren. Und darauf, in Sachen Fetisch, Leidenschaft und Begierden in seinem eigenen Licht zu glänzen. Hierzu passt als mein Ratschlag das Zitat der Podcasterin und Autorin Laura Seiler: „Der Vergleich mit anderen macht Dich blind für das Original, das Du bist.“