Was ist richtig und was falsch bei Fetisch und BDSM? Die kürzlich in diesem Zusammenhang an mich gestellte Frage: „Haben wir alles richtig gemacht?“ hat mich beschäftigt. Gibt es darauf überhaupt eine klare Antwort? „So lange wir es genossen haben, war alles richtig“ war meine erste impulsive Reaktion. Wer bestimmt eigentlich, was beim Sex richtig und falsch ist? Falsch ist in meinen Augen alles, was illegal ist, also gegen das Gesetz verstößt. Auch was nicht auf beiderseitigem Einverständnis passiert, ist für mich falsch. Vor allem bei BDSM ist die gegenseitige Absprache elementar, um diese Gratwanderung „richtig“ zu machen. Wenn alles geklärt ist, die Praktiken Vergnügen bereiten und auf gegenseitigem Respekt basieren, gibt es meiner Meinung weder richtig noch falsch. Im Laufe der Zeit durfte ich diese Wahrheit für mich selbst finden.
Vor allem in jungen und unerfahreneren Jahren stellte ich mir häufig die Frage, ob ich denn alles richtig mache: passt die Fetisch-Gear, verhalte ich mich beim Sex richtig, davor genauso wie danach? Nur zu gut kann ich mich an einen meiner ersten Besuche in einer Fetisch-Bar erinnern. Ich hatte mich bestmöglich herausgeputzt und mich das erste Mal getraut, in der Öffentlichkeit Lederjeans, Stiefel, Lederhemd, Weste, Krawatte und Handschuhe zu tragen. Es hat sich für mich richtig und gut angefühlt. Auch der Abend verlief hervorragend bis zu dem Moment, als dieser Lederkerl, den ich vorher schon bewundert und beobachtet hatte, sich auf der Toilette neben mich stellte und mich für mein Outfit lobte. „Außer die Stiefel, die passen gar nicht dazu. Hast Du keine Wescos?“ beendete er das Gespräch und ließ mich verwirrt stehen. Mein Selbstwertgefühl sank innerhalb kürzester Zeit auf ein Mindestmaß und enttäuscht konnte ich den Rest des Abends nicht mehr genießen. Kurz zuvor hatte ich mir kniehohe schwarze Reitstiefel gekauft. Offenbar die falsche Wahl, wenn es nach diesem gutaussehenden Lederkerl ging. Es stellte sich mir die Frage, ob Vorschriften existieren, die besagen, was ein Lederkerl anzuziehen hat oder welche Stiefel zu welchem Outfit passen, und wer wohl eigentlich der Leder-Mode-Guru sei, der all diese Regularien bestimmt. Ich kaufte mir tatsächlich für viel Geld neue Stiefel – keine Wescos, die besitze ich bis heute nicht – und fühlte mich in den anderen Stiefeln nicht mehr wohl, bis ich sie schließlich verkaufte. Je mehr Fetisch-Events ich besuchte, umso mehr lernte ich, dass erlaubt ist, was gefällt. Richtig ist, dass man sich in seinem Outfit wohl fühlt, sich nicht verkleidet und man nicht in Eintönigkeit der monotonen Fetisch-Gear untergeht.
Häufig setzt man eine zu hohe Erwartungshaltung an sich selbst und an andere. Man erwartet schließlich das perfekte Date, die ideale Session, die geilste Nacht. Allzu oft lassen wir uns von sozialen Medien oder von Pornos verleiten und blenden. Sie vermitteln fälschlicherweise den Anspruch auf Richtigkeit. Härterer BDSM birgt Risiken, die gesundheitsschädlich sein können. Praktiken, die in der Tat falsch angewendet werden, können böse enden. Daher ist es sinnvoll, langsam und entspannt an solche Spielarten heranzuwagen, statt nach einem im Kopf festgesetzten Porno-Drehbuch zu agieren und den Sicherheitsaspekt außer Acht zu lassen. Umso besser, wenn man an die Hand eines Erfahrenen genommen wird und Wissen weitergegeben werden kann, um beim nächsten Mal alles „richtig“ zu machen. Und wenn mal etwas schief geht, ist es doch auch nicht weiter schlimm. Beim Sex darf ruhig auch mal gelacht werden. Ob es richtig ist, dass BDSM eine Spielart beim Sex ist oder der gesamte Alltag einer Beziehung darauf basiert, ob dabei Blut fließt oder welche Uniformen und Accessoires zum Einsatz kommen, das können nur die involvierten Partner für sich entscheiden und weder darf noch kann von Außenstehenden beurteilt werden. Dafür gibt es schließlich persönliche Limits und Safewords. Ein krampfhaftes Herangehen an die Frage, wie sich der Dom oder der sub richtig zu verhalten ist, raubt die Spontaneität im Spiel und kann den Spaß und die Bedürfnisbefriedigung verhindern.
Ein ähnliches Abwägen von Richtig und Falsch kenne ich, wenn es um das Ansprechen von jemandem geht, sei es in einer Bar oder auf einem Event. Ist es richtig, wenn ich den jetzt anspreche? Möchte er überhaupt angesprochen werden und was kann ich dabei alles falsch machen? Dazu habe ich kürzlich eine Nachricht von einem sexy Gleichgesinnten auf BLUF bekommen: „Wollte dir schon immer Hallo sagen, Thorsten, besonders als ich dich letzten September in Berlin gesehen habe. Ich verzichte im Allgemeinen auf das spontane Ansprechen, um mir die Verlegenheit zu ersparen. Früher habe ich es versucht, aber viel zu oft wurde mir die kalte Schulter gezeigt.“ Mir geht es manchmal selbst so und ab und zu ertappe ich mich dabei, schüchtern zu sein. Unser Leben lehrt uns jeden Tag aufs Neue, intuitiv zu sein und weniger auf das richtig und falsch oder irgendwelche moralischen Gesellschaftswerte zu achten als vielmehr darauf, in sich hineinzuhören: Fühlt es sich gut an oder fühle ich mich unwohl dabei. Aus Angst, das Falsche zu tun, tun viele gar nichts. Und genau das ist das Falsche.
Letztendlich ist es die Summe an Erfahrungen, die unser eigenes Weltbild umfasst und unsere Werte definiert. Nicht nur was unseren Alltag betrifft, sondern auch unser Sexualleben. Was für uns selbst richtig und falsch ist, ist eine Idee in unseren eigenen Köpfen, nicht objektiv beweisbar und nicht zeitunabhängig. Hauptsache unser Tun bereitet Vergnügen und Genuss, schadet niemandem und wir sind uns der Konsequenz unseres Handelns stets bewusst.
Hallo Thorsten mir ist es genau so ergangen. Man brezelt sich auf, fühlt sich wohl in seinem Leder und Wescos, geht frohen Mutes zum Event, ist dann aber doch zu schüchtern und spricht keinen an. Dann wagt man es doch, wird von oben bis unten gemustert und bekommt die kalte Schulter gezeigt. Bin halt kein Jüngling mehr, Anfang 50, aber meine nicht gerade hässlich. Irgend wann am Abend wenn dein Selbstwertgefühl am Arsch ist denkst du dann was soll ich hier komm ich fahre nach Hause. Man will doch nur etwas beachtet werden, mal bisschen quatschen oder vielleicht etwas Spaß haben. Es wäre ja ein Traum einen Kerl zu finden der mich an die Hand nehmen würde und mir sein Wissen weitergeben würde. Mich mitnimmt in die Lederwelt und einführt in die BDSM Welt. Irgendwie bin ich ja froh, dass es anderen ähnlich geht wie mir. Herzliche Ledergrüsse Stefan 🖤🖤🖤🔥🔥🔥👅👅👅👮🏻♂️👮🏻♂️👮🏻♂️😜😜😜
Also Thorsten, wie ich finde (ohne dir nahe treten zu wollen;) eine sehr reife und reflektierte Antwort auf die gestellte Frage. Ich sehe das genauso wie du, bin aber auch erst durch einen sehr langen (zu langen) Weg dahin gekommen. Leider bin ich irgendwie durch äußere und besonders auch innere Blockaden, auf meinen Fetish/BDSM Weg oft ins Stocken geraten, um möglichst früh zu einem entspannten Verhältnis zu diesem Thema zu kommen. Ich habe dadurch den Verdacht, daß da mehr Spaß und Glück für mich drin gewesen wäre. Jetzt nahe an der 60 dran, habe ich leider trotz starkem Wunsch, keinen Partner gefunden, mit dem ich diese intensive Seite hätte teilen und etablieren können. Jetzt spielt es kaum noch eine Rolle, der Hormonellen Situation wegen, und meine schwindende Attraktivität lässt mich einen Haken dran machen, lenkt mein Fokus immer mehr auf andere, wichtige Dinge des Lebens.
Um die größtmögliche Chance zu haben die richtigen Spielpartner zu treffen, das Maximum an Vergnügen und glücklich sein zu erreichen, ist es wichtig gut informiert zu sein, rechtzeitig ein gutes und entspanntes Verhältnis zum genannten Thema zu finden. Dazu braucht es meiner Meinung nach, so positive Vorbilder wie dich – Thorsten! Deswegen finde ich deinen Beitrag so richtig und wichtig, besonders für die, die sich in jungen Jahren entscheiden, unseren Stiefelpfad gehen zu wollen 😉 Toll, das es dich gibt! 🙏🤗